Aktuell in der UR

Plädoyer für die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb der Organschaft (Monfort, UR 2023, 355)

Kaum war die große Aufregung um die deutsche Organschaft infolge der beiden letzten EuGH-Urteile v. 1.12.2022 verpufft, sorgt eine neue Vorlage des BFH an den EuGH vom 26.1.2023 in einem der beiden Ausgangsverfahren wieder für eine noch größere Beunruhigung aus Sicht der Wirtschaft. Der V. Senat des BFH stellt die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb der Organschaft in Frage. Diese neue Vorlage kann als „explosiv“ bezeichnet werden und stellt das aktuell bedeutendste anhängige Verfahren im Bereich des Mehrwertsteuerrechts dar. Das potentielle enorme Risiko für Unternehmer ohne Recht auf Vorsteuerabzug (Banken, Versicherungen, Gesundheitswesen, öffentlicher Sektor usw.) liegt auf der Hand. In diesem Beitrag wird dargestellt, wie die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb der Organschaft aus bisheriger EuGH-Rechtsprechung abgeleitet werden kann. Es besteht also Hoffnung, dass nachdem der EuGH die grundsätzliche Konzeption der deutschen Organschaft gerettet hat, er sie auch nicht bald durch die Steuerbarkeit der Innenumsätze begraben wird.

I. Neue EuGH-Vorlage

II. Sinn und Zweck der Organschaft

III. Einziger Steuerpflichtiger nach dem Wortlaut der Vorschriften

IV. Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb eines einzigen Steuerpflichtigen

V. Keine weitere Grundlage für die Steuerbarkeit der Innenumsätze

VI. Verwaltungsvereinfachung und kontextuelle Auslegung

VII. Fazit



I. Neue EuGH-Vorlage

In der Rechtssache Finanzamt T (C-269/20) bittet der BFH erneut den EuGH um eine Vorabentscheidung, die nunmehr beim EuGH als Rechtssache Finanzamt T II (C-184/23) anhängig ist. Auslöser ist aber insbesondere das EuGH-Urteil in der parallelen Rechtssache Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (C-141/20). Die Vorlage enthält zwei Fragen (s. Leitsätze und Rz. 6 des BFH-Vorlagebeschlusses). Zunächst fragt der V. Senat allgemein, ob entgeltliche Leistungen unter Mitgliedern einer Organschaft nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen, d.h. nach deutscher Terminologie nicht steuerbar i.S.v. § 1 Abs. 1 UStG sind. Alternativ fragt der V. Senat, ob entgeltliche Leistungen unter solchen Personen jedenfalls dann steuerbar sind, wenn der Leistungsempfänger vollständig oder teilweise nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist. Sowohl seitens der Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtigen war an der seit fast 100 Jahren angenommenen und unbestrittenen Wirkung der Organschaft nichts zu rütteln.

Der BFH-Vorlagebeschluss ist ausführlich begründet und am Rande offen für Argumente gegen die Steuerbarkeit. Dennoch neigt der V. Senat eindeutig zur Steuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb der Organschaft. Dies müsste darauf zurückzuführen sein, dass sich der V. Senat auf den Sinn und Zweck der Organschaft fokussiert, wie er bisher vom EuGH explizit anerkannt wurde.

II. Sinn und Zweck der Organschaft

Die einstimmige und völlig unumstrittene Annahme der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb der Organschaft mag ein Grund sein, die Rechtslage unberührt zu lassen, stellt aber leider keinen Beweis für ihre Richtigkeit dar. Im Unionsrecht findet sich bisher keine ausdrückliche Aussage, dass Innenumsätze innerhalb der Organschaft nicht steuerbar sind. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung die Organschaft bereits wiederholt als die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten definiert, „die Eigenschaft des Steuerpflichtigen nicht systematisch an das Merkmal der rein rechtlichen Selbständigkeit zu knüpfen, und zwar aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung oder zur Verhinderung bestimmter Missbräuche“ (s. Rz. 41 des BFH-Vorlagebeschlusses m.w.N.). Diese Formulierung stammt nicht aus einer verbindlichen Rechtsnorm, sondern nur aus der Begründung der Kommission zu ihrem Vorschlag für die damalige 6. EG-Richtlinie, die sich der EuGH damit zu Eigen gemacht hat. Sinn und Zweck der Organschaft wäre also nach der EuGH-Rechtsprechung eine Verwaltungsvereinfachung und die Verhinderung bestimmter Missbräuche. Vor diesem Hintergrund meint der V. Senat, dass die von der Organschaft verfolgten Ziele keine Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze erfordern (Rz. 58 bis 70 des BFH-Vorlagebeschlusses), weshalb Innenumsätze innerhalb der Organschaft steuerbar sein sollten.

Bereits die Auffassung, die Ziele der Verwaltungsvereinfachung und der Verhinderung bestimmter Missbräuche erfordern keine Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze, kann bestritten werden. Ist eine Nichtbesteuerung nicht auch eine Vereinfachung? Erst recht, wenn sich komplizierte Fragen um den Vorsteuerabzug erübrigen, wie selbst der V. Senat es einräumt (Rz. 66 des BFH-Vorlagebeschlusses). Was die Verhinderung bestimmter Missbräuche angeht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Nichtbesteuerung immer missbräuchlich ist. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung sind Gestaltungen mit der niedrigsten Steuerbelastung per se nicht missbräuchlich. Der Steuerpflichtige darf seine Tätigkeit so gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält. Die Würdigung von Sinn und Zweck ist nicht eindeutig und kann oft subjektiv werden.

Der größte Kritikpunkt bei dieser Fokussierung auf Sinn und Zweck liegt m.E. darin, dass (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.04.2023 15:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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