Abziehbarkeit von latenten Steuern im Substanzwert
Der BFH muss über die Frage entscheiden, ob latente Ertragsteuern bei der Bedarfsbewertung von Anteilen an einer ertragslosen Kapitalgesellschaft mit dem Substanz- bzw. Liquidationswert zu berücksichtigen sind.
FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14, Rev. eingelegt Az. d. BFH: II R 15/15
Problem: Streitig ist, ob bei der gesonderten Feststellung des Bedarfswerts von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft und bei der Feststellung des Verwaltungsvermögens eine latente Steuerlast abzuziehen ist.
Der Sachverhalt stellt sich sehr vereinfacht wie folgt dar: Die Erblasserin war Alleingesellschafterin einer GmbH. Die GmbH verfügte seit Jahren über kein operatives Geschäft mehr. Die Erblasserin verstarb in 2012 und wurde von ihrem Sohn, dem Kläger, beerbt. Das Aktivvermögen der GmbH setzte sich aus einem nicht mehr bewohnbaren Hausgrundstück und einem Bankkonto zusammen. Im Rahmen des mehrstufigen Feststellungsverfahrens wurden die Anteile an der Kapitalgesellschaft aufgrund des negativen Ertragswertes mit dem Substanz-/Liquidationswert bewertet. Der Kläger fasste den Beschluss, die Gesellschaft zu liquidieren.
Das FA berücksichtigte bei der Bewertung der Anteile nicht die anfallenden latenten Steuern, die sich aus den stillen Reserven im Grundstückswert ergeben. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Lösung des Gerichts: Kein Abzug der auf den stillen Reserven ruhenden latenten Ertragsteuern: Das FG Hamburg sah sich nicht in der Lage, dem Anliegen des Klägers zu entsprechen. Ausweislich des Gesetzeswortlauts seien die Anteile mit dem gemeinen Wert zu bewerten, der auf die Käufersicht abstelle. Beim im Streitfall anzuwendenden Substanzwertverfahren handele es sich um ein Einzelbewertungsverfahren, das nach st. Rspr. einen Abzug der auf den stillen Reserven ruhenden latenten Ertragsteuern der Kapitalgesellschaft ausschließen würde. Die bewertungsrechtlichen Grundsätze würden auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sowohl im Zivilrecht als auch in der Betriebswirtschaftslehre latente Ertragsteuerlasten bei der Unternehmens- und Anteilsbewertung abgezogen werden könnten.
Soweit es in der Gesamtschau beim Erben zu einer Übermaßbesteuerung käme, müsse dieser i.R.d. sachlichen Billigkeit Rechnung getragen werden. Die Revision ließ das FG Hamburg zu.
Konsequenzen für die Praxis: Das vor dem BFH anhängige Verfahren hat große Bedeutung, da es das Dilemma aufzeigt, welches dem neuen Verständnis des BVerfG zur Erbschaftsbesteuerung entspringt und im Widerspruch zu den veralteten Gesetzesbestimmungen und der darauf basierenden (überholten) Rspr. steht.
Ausgangspunkt ist das (neue) Verständnis des BVerfG. Besteuerungs- und Belastungsgrund des ErbStG ist die wirtschaftliche Bereicherung des Erwerbers, die dieser durch den unentgeltlichen Erwerb erfährt. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung v. 7.11.2006 (BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 = ErbStB 2007, 64 m. Komm. Heinrichshofen) die Anforderungen des GG an den Bewertungsmaßstab darin beschrieben, den wirtschaftlichen Leistungszuwachs des Erwerbers, den dieser durch den steuerbaren Erwerbsvorgang erfahren hat, in einer den Anforderungen des Art. 3 GG genügenden Art und Weise abzubilden.
Im Ergebnis hat damit der Begriff des gemeinen Werts einen anderen Inhalt erhalten. Folgerichtig sind hierdurch Verpflichtungen, die mit dem übergegangenen Vermögensgegenstand verbunden sind, miteinzubeziehen und mindernd zu berücksichtigen. Das heißt nur der Nettoerwerb ist zu erfassen. Die Auslegung des ErbStG und des mit ihm untrennbar verbundene BewG ist dem o.g. Verständnis des BVerfG verpflichtet und bedarf einer folgerichtigen Umsetzung.
Die aktuell bestehende Gesetzeslage – insb. auch die Streichung des § 98a BewG – steht hierzu in einem Widerspruch (vgl. hierzu grundlegend Hübner in Moench/Hübner, ErbSt, 3. Aufl., Rz. 979 ff.).
Insoweit ist es vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers die Vorgaben des BVerfG umzusetzen. Solange dies durch einen redlichen Gesetzgeber nicht geschieht, ist es aufgrund des Rechtsstaatsprinzips Aufgabe der Rspr. zu prüfen, ob sie die Vorgabe des BVerfG im Wege der Auslegung der bewertungs- und erbschaftsteuerlichen Vorschriften umsetzen kann. Sollte sie bei der Prüfung zu der Auffassung gelangen, dass der Wortlaut oder der Wille des Gesetzgebers einer entspr. verfassungskonformen Auslegung widerspricht, bedarf es einer Vorlage an das BVerfG. Der immer wieder in der Praxis anzutreffende lapidare Hinweis auf eine Billigkeitsregelung kann diesen Anforderungen m.E. zweifelsohne nicht genügen. Es bleibt zu hoffen, dass der BFH oder andere FG die Problematik erkennen und den Mut haben, ihn gerecht zu lösen.
Im Rahmen von Streitigkeiten beim Zugewinn hat der BGH erkannt, dass latente Steuern bei der Bewertung von Unternehmen i.R.d. Endvermögens in Abzug zu bringen sind (BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/08, BGHZ 188, 282; BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249). Nur dieses Verständnis ist folgerichtig, da sowohl dem Ehegatten als auch dem Erben nur der um die Steuern geschmälerte Erlös verbleibt und er nur insoweit bereichert ist.
Für die Folgerichtigkeit unerheblich ist, dass der Besteuerungstatbestand nicht mehr vom Erblasser, sondern vielmehr vom Erben verwirklicht wird. Das Stichtagsprinzip ist m.E. ein dem Leistungsfähigkeitsprinzip nachgelagertes (Sub‑)Prinzip. Die dagegen von der Finanzverwaltung und Rspr. vorgetragenen Rechtfertigungsversuche greifen m.E. nicht und sind nur (leider erfolgreiche) Nebelkerzen. So bleibt wieder einmal der bittere Beigeschmack, dass sich der Staat wieder einmal über die Interessen seiner Bürger stellt.
Beraterhinweis: Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass auch der BFH – vorsichtig ausgedrückt – keine rechtliche Handhabe sieht (sehen möchte), die Problematik zu lösen und auch nicht das BVerfG anruft. Der Beschluss des BVerfG vom 7.4.2015 (BVerfG v. 7.4.2015 – 1 BvR 1432/10) könnte ihm dabei (leider) in die Karten spielen.
Das BVerfG hat entschieden, dass eine Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer durch Nichtberücksichtigung von latenter Einkommensteuer bei der Vererbung von Zinsansprüchen verfassungsgemäß sei. Als weitblickender Berater sollte man stets hinterfragen, ob der konkrete Sachverhalt, selbst wenn er von einem Fachgericht falsch entschieden wurde, wirklich geeignet ist, ihn bis zum höchsten Gericht zu treiben oder, ob nicht vielmehr durch eine negative Entscheidung der Weg für eine Lösung des Problems verbaut wird.
Insoweit müsste gegen eine ablehnende Entscheidung der Weg zum BVerfG beschritten werden. Für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ist es aber ganz wichtig, dass hierzu ein spezialisierter Fachberater betraut und bestmöglich sogar frühzeitig eingeschaltet wird, da selbst erfahrene und im Steuerrecht bewanderte Berater für eine gelungene Einlegung einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht wirklich geeignet sind. Dies führt sehr häufig zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde. Sollten Sie deshalb mit einer ähnlichen Thematik und insb. auch mit einem überzeugenden Sachverhalt konfrontiert sein, bietet es sich an, dass Sie mit einem neutralen Rechtsgutachten versuchen, ein Gericht von der Notwendigkeit einer Vorlage an das BVerfG zu überzeugen. Geringfügige Mehrbelastungen reichen nicht aus, um das BVerfG von einer Verfassungswidrigkeit zu überzeugen.
Aus gesetzlicher Sicht ist anzumerken, dass der seit Jahren bestehende steuerliche Gesetzesstillstand u.a. dazu geführt hat, dass das Verständnis des BVerfG nicht in den Steuergesetzen umgesetzt wurde. Dieser m.E. nicht akzeptable Missstand dürfte wohl zum einem durch die politische Blockadesituation, zum anderen aber auch dadurch begründet sein, dass die Gesetzesvorschläge regelmäßig aus der Feder der Exekutive stammen, die leider naturbedingt nur selten eine Notwendigkeit sieht, für Gerechtigkeit und folgerichtige Gesetze zu sorgen. Sog. „Rechtsprechungsbereinigungsgesetze“ sind hingegen mit Regelmäßigkeit anzutreffen. Insoweit müssen Beraterschaft und Verbände versuchen, verständige Politiker aus allen demokratischen Lagern von der Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung zu überzeugen.
RA/FASt/StB Dipl.-Finw. Stefan Heinrichshofen, Peters, Schönberger & Partner mbB, München
Service: BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, ErbStB 2007, 64; FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14; Esskandari/Steffen, Tod eines Einzelunternehmers, Steuerfolgen nicht nur i.R.d. Erbschaftsteuer, Teil 1, ErbStB 2012, 17; Bron/Seidel, Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer, Teil I, ErbStB 2010, 48 und Teil II, ErbStB 2010, 81 abrufbar unter steuerberater-center.de