Bilanzierung von Verbindlichkeiten bei Rangrücktritt
Eine Verbindlichkeit, die nach einer Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, unterliegt § 5 Abs. 2a EStG 2002 (BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332). Es kann allerdings eine verdeckte Einlage vorliegen (insoweit Abkehr von BFH in BStBl. II 2012, 332).
BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14
Problem: Die Klägerin, eine GmbH, erhielt von ihrer Muttergesellschaft, der E-GmbH, im Zuge einer Konzernumstrukturierung Darlehen i.H.v. 7 Mio. € sowie 2,6 Mio. US-Dollar. Am 7.10.2004 vereinbarten die Vertragsbeteiligten zur Abwendung der Überschuldung i.S.d. Insolvenzordnung (InsO) einen Rangrücktritt folgenden Inhalts:
„Die (E-GmbH) tritt als alleinige Gesellschafterin mit ihrem Anspruch auf Tilgung und Verzinsung des der (Kl.) gewährten Darlehens im Betrag von (7 Mio. €/2,6 Mio. US-Dollar) dergestalt im Rang hinter die Forderung sämtlicher anderer Gläubiger, einschließlich aller in § 39 Abs. 1 und Abs. 2 InsO genannten Gläubiger zurück, dass sie Tilgung und Verzinsung des Darlehens nur aus einem künftigen Bilanzgewinn oder aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss verlangen kann. Für den Fall der Insolvenz tritt die (E-GmbH) auf den Rang des § 199 Satz 2 InsO zurück.“
In ihrem auf den 30.6.2005 (Streitjahr) erstellten Jahresabschluss passivierte die Klägerin Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern i.H.v. insgesamt 9.431.852,33 €; hiervon entfielen 9.189.658 € auf die der Klägerin von der E-GmbH gewährten Kredite.
Das FA vertrat nach einer Außenprüfung die Ansicht, dass § 5 Abs. 2a EStG 2002 der Passivierung der gegenüber der E-GmbH bestehenden Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz der Klägerin entgegenstehe. Gegen die entsprechend geänderten Bescheide hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben, mit der sie obsiegte (FG Nds. v. 12.6.2014 – 6 K 324/12, EFG 2014, 1601).
Lösung des Gerichts: Der I. Senat des BFH hat das Urteil des FG aufgehoben. Das FG habe zu Unrecht die Passivierung der streitgegenständlichen Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz der Klägerin vom 30.6.2005 bejaht. Allerdings fehlen noch Feststellungen zu einer möglichen Einlage. Daher wurde die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Passivierung der Verbindlichkeiten in der Handelsbilanz: Nach § 247 Abs. 1 HGB seien in der Handelsbilanz Schulden dann zu passivieren, wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die vom Gläubiger erzwungen werden kann und eine wirtschaftliche Belastung darstellt (BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, GmbH-StB 2012, 107 = BStBl. II 2012, 332). Aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG 2002 gelte dies auch für Zwecke der Steuerbilanz.
Verpflichtungen, deren Erfüllung an den Gesamtgewinn des Unternehmens anknüpfen, stellten noch keine wirtschaftliche Last dar und seien dementsprechend in der Handelsbilanz nicht zu passivieren. Sie unterlägen steuerlich einem Passivierungsverbot (BFH v. 10.11.1980 – GrS 1/79, BStBl. II 1981, 164). Beträfe die Rückzahlungsverpflichtung hingegen nur einen Ausschnitt der gewerblichen Tätigkeit, sei sie sowohl in der Handels- als auch der Steuerbilanz zu passivieren (BFH v. 20.9.1995 – X R 225/93, BStBl. II 1997, 320).
Steuerliches Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG: Durch Einführung des § 5 Abs. 2a EStG im Jahr 1999 habe der Gesetzgeber in diese Regelungszusammenhänge eingegriffen. Danach seien für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. In Fällen eines qualifizierten Rangrückritts sei jedoch die Verpflichtung, Kredite aus dem sog. „freien Vermögen“ zu tilgen, weder handelsrechtlich noch nach den Merkmalen des § 5 Abs. 2a EStG 2002 geeignet, ein Passivierungsverbot zu begründen (BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, GmbH-StB 2012, 107 = BStBl. II 2012, 332).
Unveränderte Auslegung des § 5 Abs. 2a EStG: In dem genannten Urteil habe der BFH entschieden, dass eine Verbindlichkeit, die nur aus künftigen Gewinnen oder einem etwaigen Liquidationsüberschuss erfüllt zu werden braucht, mangels gegenwärtiger wirtschaftlicher Belastung nicht ausgewiesen werden könne. Daran sei festzuhalten. Die Passivierung der gegenüber der E-GmbH bestehenden Zahlungsverpflichtungen sei dementsprechend ausgeschlossen.
Der „Gewinn“ i.S.d. § 5 Abs. 2a EStG umfasse nicht nur der Steuerbilanzgewinn des Schuldners, sondern schließe auch künftige handelsrechtliche Jahresüberschüsse ein. Eine Tilgung aus einem „künftigen Bilanzgewinn“ umfasse auch den durch die Auflösung der Kapitalrücklage entstehenden Bilanzgewinn. Im Streitfall sei die Kapitalrücklage aber so gering, dass selbst bei ihrer Auflösung kein Bilanzgewinn entstehe.
Auch die Tatsache, dass die Schuldnerin die Forderungen der E-GmbH auch aus etwaigen künftigen Liquidationsüberschüssen tilgen müsse, schließe den Tatbestand des § 5 Abs. 2a EStG nicht aus, da das Vermögen des Schuldners gegenwärtig noch nicht belastet sei.
Möglichkeit einer verdeckten Einlage: Allerdings sei die bisherige Rechtsprechung (BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, GmbH-StB 2012, 107 = BStBl. II 2012, 332) insoweit zu korrigieren, dass möglicherweise eine verdeckte Einlage vorliege. Der Gewinn, der sich aus der Ausbuchung der Verbindlichkeit ergebe, sei dann um den werthaltigen Teil der Einlage zu vermindern (§ 4 Abs. 1 S. 1 EStG).
Darlehen, die aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind, könne – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital zukommen. Der Einlagetatbestand könne auch durch Wegfall eines Passivpostens erfüllt werden (z.B. BFH v. 7.5.2014 – X R 19/11, EStB 2014, 370).
Der steuerrechtliche Einlagebegriff unterliege nicht dem Maßgeblichkeitsgrundsatz, sondern ginge darüber hinaus. Er solle den Steuerbilanzgewinn um die nicht betrieblich veranlassten Mehrungen des steuerrechtlichen Betriebsvermögens mindern und umfasse auch die durch einen Rangrücktritt i.V.m. § 5 Abs. 2a EStG 2002 ausgelöste Ausbuchung von Verbindlichkeiten. Beachten Sie: Voraussetzung sei allerdings, dass die Vereinbarung zur Subordination der Verbindlichkeit durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sei. Hierzu und zur Werthaltigkeit der Forderungen müsse das FG im zweiten Rechtsgang Feststellungen treffen.
Konsequenzen für die Praxis: Der Rangrücktritt dient in der Praxis der Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung. Gleichzeitig soll die Passivierung in der Steuerbilanz nicht gefährdet werden, um keine vermeidbaren Steuerlasten auszulösen (Schmidt, DB 2015, 600). Die genaue Formulierung des Rangrücktritts ist dabei – unverändert – von größter Bedeutung, wie der Besprechungssachverhalt erneut zeigt. Neu ist dagegen die Frage der verdeckten Einlage nach einer Ausbuchung aufgrund des § 5 Abs. 2a EStG.
Beraterhinweis: Die steuerlichen Folgen des Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 2a EStG werden demnach zukünftig auch abhängen von der Frage
- der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung (R 40 Abs. 1 KStR 2004) und
- der Werthaltigkeit der Forderungen (R 40 Abs. 4 KStR 2004).
Die steuerliche Gradwanderung beim Rangrücktritt kann derzeit wohl nur durch Einholung einer (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) beherrschbar gemacht werden (Hoos, GmbHR 2015, 729 [733]; Kahlert, DStR 2015, 734 [737]).v
StB Dr. Martin Weiss, Berlin
Service: BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10; v. 7.5.2014 – X R 19/11, EStB 2014, 370 abrufbar unter steuerberater-center.de