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Aktuell in der Ubg

ATAD III und Ansässigkeit (Haase, Ubg 2024, 301)

Der Beitrag interpretiert den Begriff der Ansässigkeit im Sinne der im Entwurfsstadium befindlichen sog. Unshell-Directive und zeigt im Besonderen die Probleme auf, die sich bei einer künftigen Anwendung der Richtlinie auf Personengesellschaften insbesondere vor dem Hintergrund der in Art. 11 und 12 des Richtlinienentwurfs genannten Rechtsfolgen ergeben würden.


I. Einführung

II. Wie bestimmt sich die Ansässigkeit?

1. Tatsächliche oder fingierte Ansässigkeit?

a) Begriffsverwirrung

b) Ansässigkeit im Abkommensrecht

c) Ansässigkeit im Sekundärrecht

d) „Nachweis über die steuerliche Ansässigkeit“ als zusätzliches Kriterium

e) Zwischenfazit

2. Welcher Staat entscheidet über die Ansässigkeit?

3. Nationales Recht vs. Abkommensrecht

4. Doppelansässigkeit

III. Anwendung auf Personengesellschaften

1. Allgemeines

2. Beispiele

IV. Ansässigkeit anderer Personengruppen

V. Fazit


I. Einführung

Seit Dezember 2021 liegt ein offizieller „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke und zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU“ der EU-Kommission vor (nachstehend „RL‑E“). Diese zuweilen „ATAD III“, zuweilen (vor allem in der internationalen Literatur) „Unshell-Directive“ genannte Richtlinie soll den Einsatz funktionsloser bzw. funktionsarmer Briefkastengesellschaften eindämmen, die nicht den im RL‑E genannten Mindestsubstanzerfordernissen genügen. Dem Vernehmen nach ist die Verabschiedung der Richtlinie gegenwärtig steuerpolitisch ungewisser denn je, was angesichts der mannigfachen Kritik an ihrem Regelungsgehalt erfreulich ist. Wenn sie aber im Grundsatz konsensfähig werden würde, erhalten die steuerpolitisch Verantwortlichen in diesem Beitrag Hinweise, welch dringender Überarbeitungsbedarf im Hinblick auf den für das internationale Steuerrecht zentralen Begriff der Ansässigkeit und vor allem die Anwendung der Richtlinie auf Personengesellschaften besteht.

Gelernt hat der unionale Richtliniengeber jedenfalls aus den Fehlern der Vergangenheit nicht – bereits im Rahmen von DAC6 hatte der dort verwendete Begriff der Ansässigkeit für allerlei Irrungen und Wirrungen gesorgt, wie der Autor dieser Zeilen an anderer Stelle ausführlich erläutert hat. Im Rahmen von ATAD III verhält es sich ganz ähnlich: Der dort abermals schlicht gehaltene und nicht mit weiteren Erläuterungen versehene Begriff der „Ansässigkeit“ ist zu unpräzise und führt vor dem Hintergrund des Richtlinienziels zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen, jedenfalls aber trägt er den Besonderheiten der Besteuerung von Personengesellschaften nach deutschem Verständnis nicht hinreichend Rechnung. Deutschland sollte dem Richtlinienvorschlag in der vorliegenden Form daher (auch aus diesem Grund) nicht zustimmen.

II. Wie bestimmt sich die Ansässigkeit?

1. Tatsächliche oder fingierte Ansässigkeit?

a) Begriffsverwirrung


Bemerkenswert unklar ist bereits der den Anwendungsbereich vorgebende Art. 2 Abs. 1 RL‑E formuliert: „Diese Richtlinie ist auf alle Unternehmen anwendbar, die als steuerlich ansässig gelten und Anspruch auf einen Nachweis über die steuerliche Ansässigkeit in einem Mitgliedstaat haben.“ Weshalb im Halbsatz 1 der Norm die Formulierung „als steuerlich ansässig gelten“ statt „steuerlich ansässig sind“? Mutmaßlich sollen damit auch Personengesellschaften und andere Personenvereinigungen, die keine Körperschaften sind, erfasst werden. Dies ergibt sich m.E. mittelbar aus den in der Begründung zum RL‑E befindlichen „ausführlichen Erläuterungen“ zu einzelnen Bestimmungen des RL‑E, die auf S. 9 des Richtlinienvorschlags beginnen.

Auch im Rahmen dieser Begründung bleibt der RL‑E allerdings unpräzise, wenn es dort heißt: „Die Richtlinie ist weitgehend inklusiv und zielt darauf ab, alle Unternehmen zu erfassen, die unabhängig von ihrer Rechtsform als steuerlich in einem Mitgliedstaat ansässig angesehen werden können.“ Ist die dort verwendete Formulierung „als steuerlich ansässig angesehen werden können“ kategorial etwas anderes als die Formulierung „als steuerlich ansässig gelten“ in Art. 2 RL‑E? Sodann fahren die „ausführlichen Erläuterungen“ aber fort im (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.06.2024 16:23
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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