FG Münster v. 29.10.2024 - 3 V 1270/24 Ew,F
Zum besonderen Aussetzungsinteresse bei geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der Grundsteuerwertermittlung
Für die Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuerwertfeststellung ist ein besonderes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen erforderlich. Zwar haben mehrere Senate des BFH inzwischen offengelassen, ob am Erfordernis der Interessenabwägung festzuhalten ist. Dies ist nach Auffassung des 3. Senats des FG Münster – im Anschluss an die jüngere Rechtsprechung u.a. des II. Senats des BFH (Beschl. v. 18.1.2023, II B 53/22, BFH/NV 2023, 382) sowie weiterer Finanzgerichte – jedoch der Fall.
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller ist Berechtigter eines durch Bebauung ausgenutzten Teilerbbaurechts. Hierfür hatte der Antragsgegner eine Grundsteuerwertfeststellung auf den 1.1.2022 erlassen und zugleich den Grundsteuermessbetrag auf den 1.1.2025 festgesetzt. Über die vom Antragsteller eingelegten Einsprüche ist bisher nicht entschieden worden.
Nachdem der außergerichtliche Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erfolglos geblieben war, beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung bei Gericht. Zur Begründung trug er vor, dass das neue Recht zur Grundsteuerwertermittlung verfassungswidrig sei. Auch müsse er im Interesse seiner Mieter gegen die Grundsteuerwertfeststellung vorgehen.
Das FG hat den Antrag abgelehnt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Beschwerde beim BFH zugelassen.
Die Gründe:
Ob nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlage zur Feststellung des Grundsteuerwertes bestehen, § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO, konnte im vorliegenden Fall dahinstehen. Dem Antragsteller fehlt es jedenfalls an einem das öffentliche Interesse am Vollzug des Gesetzes überwiegenden besonderen Aussetzungsinteresse.
Nach BFH-Rechtsprechung erfordert die Aussetzung der Vollziehung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit eines dem Verwaltungsakt zugrundliegenden formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich, dass ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt es einerseits auf die Bedeutung des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung für den Gesetzesvollzug sowie das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an.
Zwar haben mehrere Senate des BFH inzwischen offengelassen, ob am Erfordernis der Interessenabwägung festzuhalten ist. Dies ist nach Auffassung des 3. Senats des FG Münster – im Anschluss an die jüngere Rechtsprechung u.a. des II. Senats des BFH (Beschl. v. 18.1.2023, II B 53/22, BFH/NV 2023, 382) sowie weiterer Finanzgerichte – jedoch der Fall.
Vorliegend war dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers kein Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Gesetzesvollzug einzuräumen. Die Grundsteuerwertfeststellung sowie die Grundsteuermessbetragsfestsetzung können nicht zu drohenden irreparablen Nachteilen des Antragstellers führen. Einem möglichen Schadensersatzanspruch gegenüber seinem Mieter aufgrund Nichtanfechtung einer rechtswidrigen Grundsteuerfestsetzung kann der Antragsteller bereits durch Bestreiten des Hauptsacheverfahrens entgegentreten.
Demgegenüber besteht ein öffentliches Interesse am Gesetzesvollzug zur Sicherung einer geordneten Haushaltsführung. Eine faktische Außerkraftsetzung der sog. Grundsteuer B würde im Geltungsbereich des sog. „Bundesmodells“ für einen nicht absehbaren Zeitraum zu Einnahmeausfällen der hebeberechtigten Kommunen in Milliardenhöhe führen. So haben sich im Jahr 2023 die Einnahmen aus der Grundsteuer B auf ca. 15,08 Mrd. Euro belaufen. Auch bei der konkret hebeberechtigten Kommune macht die Grundsteuer 15 % der gesamten kommunalen Einnahmen aus und ist damit von erheblicher Bedeutung.
Es ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die Kommune die konjunkturunabhängigen Grundsteuereinnahmen durch konjunkturabhängige Steuern (Gewerbesteuer; Anteil Einkommen- und Umsatzsteuer) kompensieren kann. Aufgrund der Konjunkturunabhängigkeit und der eigenen Hebesatzkompetenz ist die Grundsteuer auch die einzige Einnahmequelle, die die Kommune planbar selbst steuern kann.
Für die Gewichtung des öffentlichen Interesses kann der vorläufige Rechtsschutz auch nicht auf einzelne Steuerpflichtige beschränkt werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass bei Häufungen stattgebender Aussetzungsbeschlüsse eine Vielzahl der Steuerpflichtigen ebenfalls unter Zuhilfenahme von Musteranträgen gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beantragen werden. Die Aussetzung käme daher einer temporären Vorwegnahme des Verwerfungsmonopols des BVerfG gleich.
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